Der Siegeszug des Cloud Computing

Wie die Infrastruktur der Digitalisierung unser Leben erobert

Grafik Mann leht sich an Smartphone

Für den Endnutzer fing es wahrscheinlich mit Evernote an. Daten wurden plötzlich nicht mehr auf einem Gerät gespeichert, sondern in der Cloud. Damit waren sie nicht nur abgesichert gegen beschädigte Festplatten oder Diebstahl, sondern konnten zudem auf verschiedenen Geräten an verschiedenen Orten geöffnet und bearbeitet werden. Seither wächst die Zahl der Cloud-Anwendungen ständig. Google Fotos mit automatisierter Bildkuration? In der Cloud. Alexas Spracherkennung? Nur mithilfe der unendlichen Rechenpower und Datenmengen der Cloud möglich. Die Binge-watching-Weiten von Netflix? Befinden sich im Cloud-Universum. Und auch vieles von dem, was wir täglich im Büro – oder jetzt eben im Home Office – auf unseren Rechnern treiben, ist praktisch nicht mehr ohne Cloud denkbar.

Was sich dabei im Backend abspielt, ist natürlich nicht ganz so einfach. Auch wenn es grundsätzlich um die Bereitstellung von Computing-Ressourcen über das Internet geht, werden im Groben vier Arten von Cloud-Diensten unterschieden, die vor allem hinsichtlich der Tiefe des Angebots variieren. Also von: “Ich miete mir ein bisschen Speicher dazu” bis “Im Grunde besitze ich nur noch ein Endgerät, alles andere läuft in der Cloud.”

  • IaaS (Infrastructure-as-a-Service)
    Geld gegen Server, virtuelle Computer, Speicher, etc.
     
  • PaaS (Platform-as-a-Service)
    Vereinfacht die schnelle Entwicklung von Web-Apps oder mobilen Apps ohne selbst ĂĽber notwendige Infrastruktur verfĂĽgen zu mĂĽssen
     
  • Serverloses Computing
    Cloudanbieter übernimmt das Setup, die Kapazitätsplanung und die Serververwaltung
     
  • SaaS (Software-as-a-Service)
    Bereitstellung von Softwareanwendungen ĂĽber das Internet

Die Vorteile liegen auf der Hand – nicht erst seit Corona. Ganze Unternehmen werden in die Lage versetzt, ihren kompletten Betrieb dezentral auf teilweise hunderte oder sogar tausende Standorte zu verteilen. Und das praktisch ohne Abstriche in Sachen Sicherheit, Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit. Schulen verlagern ihren Unterricht ins Netz – mit Betreuung per Videokonferenz, Erklärvideos auf Youtube und Übungen in Lernapps. Die Schüler kleben am Screen, aber endlich hat niemand etwas dagegen.

Noch sind wir allerdings nicht soweit, sämtliche Hardware aus dem Fenster in die Wolke zu werfen. Das Gaming-Angebot eines der großen Player im Cloud-Geschäft zeigt das deutlich. Die Rede ist von Google Stadia. Alle Rechenoperationen der Spiele werden in Google-Rechenzentren getätigt und dort in ein Videosignal umgewandelt. Der Dienst verspricht, das Erlebnis von Profi-Gamern (also hohe Auflösung, hohe Bildwiederholungsraten, wenig Latenz) praktisch für jeden zugänglich zu machen – und das bezahlbar und auf den verschiedensten Endgeräten. Ohne hohe Investitionen in Gerätschaften, die alle zwei Jahre schon wieder veraltet sind.

Was sich so vielversprechend anhört und durch viele weitere Features wie seamless Streaming aufgebohrt werden soll, hat noch einige Kinderkrankheiten. Jedenfalls legen das die aktuellen Reviews nahe. Die Bildqualität ist nicht wie versprochen, die Latenz nicht auf High-End-Niveau und das Spieleangebot noch deutlich zu klein. Selbst in Ländern, die mehr in Bandbreite investiert haben als Deutschland.

Doch das sind längst nicht alle Nachteile, die Cloud Computing mit sich bringen kann. Eine Eigenschaft, die sich immer wieder als Bumerang entpuppt, ist die Abhängigkeit, in die man sich als Nutzer begibt: der Lock-in-Effekt. Beschließt der Anbieter, seinen Dienst einzustellen, sind häufig sämtliche Investments der User wie z. B. Zeit, Wissen oder zum Service passende Hardware schlagartig wertlos. 

Bei Merkle haben wir mühevoll Google Hire eingeführt, einen Recruiting-Dienst, der in die G Suite integriert ist. Nun gab Google per E-Mail bekannt, dass Hire ab 2020 nicht mehr zur Verfügung steht. Man wolle sich stattdessen auf andere Projekte im Portfolio konzentrieren. Ganz ähnlich erging es z. B. Kunden des smarten Haustürschloss-Herstellers Nello. Sie konnten nach der Insolvenz des Unternehmens nicht mehr auf ihre Schlösser zugreifen, da nicht nur der Betrieb, sondern auch die dazugehörigen Server stillgelegt wurden.

Doch an diesem Beispiel zeigt sich auch eine der spannendsten Nebenwirkungendes Cloud Computing: der Wandel in Sachen Formfaktor eines Computers. Die Zeit der großen Tower neigt sich, zumindest im Consumer-Markt, ohnehin dem Ende zu. Doch auch die klassische Kombination aus Eingabegerät (Mouse, Tastatur) und Screen löst sich mehr und mehr auf. Der Controller von Google Stadia ist dafür ebenso ein Beispiel wie die praktisch körperlose Alexa, die in Smartspeakern genauso mit der Cloud verbunden ist wie in Uhren oder im Auto.

Wo die Reise nach Corona genau hingeht? Wir wissen es nicht. Fest steht aber, dass sich Cloud Computing fester denn je etabliert hat.